
Häufige Fehlzeiten: Wenn die krankheitsbedingte Kündigung droht
- By Roland Müller-Plesse
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- 15 Apr, 2021
Wer krank ist, dem kann nicht gekündigt werden. Dieser Irrtum ist in der arbeitsrechtlichen Praxis weit verbreitet. Dass die Kündigung eines kranken Mitarbeiters gerade wegen Krankheit gerechtfertigt sein kann, zeigen wir Ihnen in diesem Beitrag.

Kündigungen wegen häufiger Kurzerkrankungen spielen in der arbeitsrechtlichen Praxis eine große Rolle. Damit der Arbeitgeber krankheitsbedingt kündigen kann, muss er die Voraussetzungen der durch die Rechtsprechung entwickelten 4 Stufen erfüllen.
Stufe1: Negative Gesundheitsprognose: Wie entwickeln sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Zukunft?
Zunächst ist erforderlich, dass der Arbeitgeber aufgrund objektiver Anhaltspunkte damit rechnen muss, dass sein Mitarbeiter zukünftig seinem Arbeitsplatz wegen häufiger Kurzerkrankungen in erheblichem Umfang fernbleiben wird. Die Kündigung ist keine Sanktion für bisherige krankheitsbedingte Fehlzeiten. Es geht vielmehr um eine Wiederholungsgefahr für krankheitsbedingte Ausfallzeiten eines Mitarbeiters in der Zukunft.
Für eine negative Gesundheitsprognose spielen die bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten als objektive Anhaltspunkte dennoch eine Rolle. Fehlt der Mitarbeiter zusammengerechnet weniger als sechs Wochen (30 Arbeitstage) pro Jahr, ist die krankheitsbedingte Kündigung in der Regel ausgeschlossen. Dies entspricht der gesetzlich garantierten Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Zu beachten ist stets, dass eine Erkrankung gerade auf weitere Ausfälle schließen lassen können muss. Liegt die Ursache für eine krankheitsbedingte Fehlzeit in der Vergangenheit in einem Umstand, dessen Wiederholung nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten ist, ist dieser Krankheitszeitraum nicht zum Nachteil des Mitarbeiters zu werten. Dies ist beispielsweise bei einmaligen, ausgeheilten Krankheiten oder Unfällen, deren Verletzungsfolgen ausgeheilt sind, der Fall.
Leidet ein Mitarbeiter jedoch immer wieder unter verschiedenen, wechselnden Krankheiten, kann dies für eine generelle Krankheitsanfälligkeit sprechen. Auch in diesem Fall kann die Gesundheitsprognose negativ sein.
Stufe 2: Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Auswirkungen der zu erwartender krankheitsbedingten Ausfallzeiten auf den Betrieb
Aufgrund der zukünftig durch den Arbeitgeber zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten des Mitarbeiters muss es zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen kommen. Hier wird insbesondere eine wirtschaftliche Betrachtung der zukünftigen Lohnfortzahlungskosten vorgenommen. Spiegelbildlich zur negativen Gesundheitsprognose muss ein Entgeltfortzahlungszeitraum von mindestens 6 Woche erreicht werden, damit die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen erheblich sein kann.
Zusätzlich ist erheblich, ob es durch die zu erwartenden Fehlzeiten zu schwerwiegenden Betriebsablaufstörungen kommen wird. Dies sind beispielsweise Probleme bei der Schichteinteilung, Überlastung der übrigen Mitarbeiter der Abteilung oder Maschinenstillstand.
Stufe 3: Nichtvorhandensein milderer Mittel: Wurde ein Betriebliches Eingliederungsmanagement fehlerfrei durchgeführt?
Zusätzlich zu einer negativen Gesundheitsprognose und einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist es erforderlich, dass dem Arbeitgeber kein milderes Mittel zur Verfügung stand, um eine krankheitsbedingte Kündigung zu vermeiden. Als milderes Mittel kommen zum Beispiel eine Umsetzung in eine andere Abteilung sowie Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen in Betracht.
Insbesondere in den Blick zu nehmen sind hier jedoch die Regelungen um das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). In diesem gesetzlich vorgesehene Verfahren ist bestimmt, dass der Arbeitgeber bei der über 6-wöchigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters innerhalb eines Jahres gemeinsam mit dem Mitarbeiter und der zuständigen Interessenvertretung (Betriebsrat und /oder Schwerbehindertenvertretung) klären soll, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und zukünftiger krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.
Der Erhalt des Arbeitsplatzes – und damit ein milderes Mittel zur Kündigung - steht hier im Vordergrund.
Der Arbeitgeber ist hierbei grundsätzlich nicht zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet. Tut er dies nicht, muss er nach Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung jedoch nachweisen, dass unter keinem Gesichtspunkt ein milderes Mittel denkbar gewesen wäre. Dieser Nachweis gelingt in der Regel nicht.
Stufe 4: Interessenabwägung: Umfassende Würdigung des Einzelfalls
Auf der letzten Stufe werden die Einzelheiten des jeweiligen Falles umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen. Hier spielt es beispielsweise eine Rolle, ob die Erkrankung auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist und ob der Arbeitgeber bei der Einstellung des Mitarbeiters Kenntnis von den Erkrankungen hatte. Ebenso sind die Sozialdaten wie Beschäftigungsdauer, Alter, Familienstand, Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderung zu berücksichtigen. Alle diese Faktoren haben Auswirkungen auf die zukünftigen Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Frage der Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist damit stets eine Einzelfallentscheidung.
Wichtig für Arbeitnehmer:
Für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen muss der Arbeitgeber hohe Anforderungen erfüllen. Insbesondere die gesetzlichen Vorgaben zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement(BEM) werden gerade von kleineren und mittleren Unternehmen nicht eingehalten. Dies führt in einer überwiegenden Anzahl der Fälle dazu, dass die Kündigung unwirksam ist und ein Kündigungsschutzprozess erfolgreich geführt werden kann.
Wichtig für Arbeitgeber:
Die krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist für Arbeitgeber ein Minenfeld. Häufig kann er bereits nicht zuverlässig ermitteln, an welchen Krankheiten sein Mitarbeiter in der Vergangenheit gelitten hat. Diese Kenntnis ist jedoch erforderlich, um sicher beurteilen zu können, ob die einzelnen Krankheitszeiträume bei der Beurteilung der Zukunftsprognose überhaupt berücksichtigt werden dürfen. Arbeitgeber sollten daher zusätzlich prüfen, ob eine betriebsbedingte Kündigung des Mitarbeiters in Betracht kommt. Da die Voraussetzungen für eine solche Kündigung in der Sphäre des Arbeitgebers liegen und der Grund gerade nicht in der Person des Arbeitnehmers zu finden ist, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit bei einer betriebsbedingten Kündigung im Regelfall höher, als bei einer personenbedingten Kündigung.







